Our Story: Ruth und Willi Taudes

Das erste Mal an der White Hart Lane

Meine Frau Ruth behauptet ja hartnäckig, schon lange vor mir Tottenham Fan gewesen zu sein. So sehr ich es mir wünschte, ich kann es nicht widerlegen. Während sie schon zu Zeiten von Gary Lineker und Paul Gascoigne den Spurs die Daumen drückte, war ich damals zwar begeisterter Anhänger des englischen Fußballs, hatte aber keinen bestimmten Lieblingsclub. Vor allem hielt ich zum Nationalteam der Three Lions und zu diversen englischen Teams, die damals im Europacup auftraten. Das waren die wenigen Möglichkeiten, diese Mannschaften auch bei uns im TV zu sehen. Eigenartigerweise gabs nur zwei Teams, mit denen ich mich nie recht anfreunden konnte: Chelsea und Arsenal.

Es kam also wie es kommen musste und Tottenham wurde unser beider Lieblingsverein. Circa ein Jahr nach unserer Hochzeit machten wir uns daran, endlich ein Spiel auf der Insel live zu erleben. Die möglichen Termine und Spiele wurden recherchiert und wegen fehlender Mitgliedschaft waren wir auf den General Sale angewiesen. So entschieden wir uns für das FA-Cup Spiel gegen die Bolton Wanderers am 17. März 2012.

Für Ruth war es das erste Mal in London, während ich schon öfters dort gewesen war. Alledings ohne dort je ein Fußballspiel live erlebt zu haben. Wir verbrachten also ein paar Tage in der englischen Hauptstadt mit einem ambitionierten Sightseeing Programm, Theaterbesuch und als Höhepunkt dem Ausflug nach Nord-London.

Am Nachmittag des 12. März war es endlich soweit. Von der Liverpool Street Station nahmen wir den Zug zur White Hart Lane. Die vielen Fans im Zug ließen bereits erahnen, welche Bedeutung und Popularität dieser Club genießt. Wir freuten uns darauf, dabei zu sein und ein kleiner Teil davon zu werden. An der Station White Hart Lane angekommen strömten die Besucher in Richtung des Stadions. Wir sahen uns noch ausgiebig um und ich widerstand meinem inneren Drang, bei einem Fanartikel Stand ein T-Shirt mit der Aufschrift „Keep Calm and Hate Arsenal“ zu erstehen.

Es war ein tolles Erlebnis, zum ersten Mal das altehrwürdige Stadion an der White Hart Lane zu sehen. Von außen und von innen verströmte es auf uns den typisch englischen Flair, wie wir ihn uns immer vorgestellt hatten. Nicht mehr ganz modern, aber dafür umso traditionsreicher.

Die Spurs Stars in dieser Zeit waren Luka Modric, Gareth Bale und Rafael Van der Vaart. Das Spiel begann, und die Gäste gingen mit ihrem ersten ernstzunehmenden Angriff in Führung. Ein Ärgernis, das uns auch bei den späteren zwei Heimspielen, die wir seitdem besucht haben, nach dem gleichen Schema passieren sollte. Tottenham blieb aber am Drücker und konnte nach einem tollen Lauf über links von Bale, anschließender Maßflanke und einem wuchtigen Kopfball durch Kyle Walker ausgleichen. Eines seiner seltenen Tore, wir waren dabei.

Als es so aussah, als könnten die Spurs das Spiel drehen, passierte das Unfassbare. Fabrice Muamba von den Bolton Wanderes brach in der 40. Minute ohne Fremdeinwirkung am Feld zusammen. Zuerst realisierte es kaum jemand von den Zuschauern. Erst als die Spieler wild gestikulierten, Sanitäter aufs Feld liefen und mit Reanimationen begannen, wurde klar, dass hier gerade etwas sehr Ernstes passierte. Das Publikum wurde immer ruhiger, eine große Anspannung machte sich breit. Als sich Muamba nach mehreren Minuten immer noch nicht bewegte, standen Spieler und Zuschauer gleichermaßen unter Schock. Zuerst wurde es im Stadion mucksmäuschenstill, dann begannen Bolton und Spurs Fans gleichermaßen Fabrice Muambas Namen zu skandieren.

Nach meheren Minuten, das Spiel war inzwischen weit über die 45. Minute hinaus fortgeschritten, pfiff der Schiedsrichter zur Halbzeit ab und Muamba wurde auf der Trage raus getragen. Wir sahen das als gutes Zeichen. Doch in der Pause kam plötzlich die Durchsage: „Ladies and Gentlemen. The game is abandoned. Please leave the stadium.“

Es war ein Schock. Wir rechneten mit dem Schlimmsten, warum sonst sollte das Spiel abgebrochen werden? Wieder wurde es im ganzen Stadion so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Die Leute machten sich daran, das Stadion zu verlassen. Bei der Bahnstation bildete sich mit der typisch englischen Disziplin eine elendslange Schlange, aber niemand sprach ein Wort. Es war eine gespenstische Atmosphäre.

Schließlich gingen wir in Soho in sehr getrübter Stimmung etwas essen. Wir sprachen kaum, denn wir dachten zu dem Zeitpunkt, dass es zur Tragödie gekommen war und Fabrice Muamba es nicht geschafft hätte.

Am nächsten Morgen im Hotel griff ich beim Frühstück gleich zur Zeitung, um über diesen Vorfall zu lesen. Und siehe da: Muamba war am Leben! Es hatte 78 Minuten gedauert, bis sein Herz wieder zu schlagen begonnen hatte. Ärzte bezeichneten es als Wunder. Wie groß war unsere Erleichterung über diese Nachricht!

So verließen wir London doch noch mit frohem Gemüt. Das Spiel wurde einige Tage später wiederholt, aber da waren wir schon wieder zu Hause. Tottenham erstattete uns den Ticketpreis anstandslos zurück. Das Wichtigste war aber, dass Fabrice Muamba lebte.

Einen Monat später wurde Muamba aus dem Krankenhaus entlassen, etwa weitere vier Monate danach erklärte er seinen Rücktritt vom Profisport.

Es war uns nicht ganz klar, ob wir diese Begegnung als unser erstes Spiel an der White Hart Lane werten können, denn immerhin wurde nur eine Halbzeit gespielt und ohne Resultat abgebrochen. Also kehrten wir vier Jahre später noch einmal zurück, diesmal sahen wir 90 Minuten Fußball und einen knappen 2:1 Sieg der Spurs gegen Swansea. Darauf folgte noch ein Spiel in unserem Ausweichquartier Wembley (1:1 gegen WestBrom), und momentan basteln wir am Plan, zum ersten Mal die neue White Hart Lane zu besuchen.

Bilder und Story: Ruth und Willi Taudes


London255 Copyjpg London252 CopyJPG

London273 CopyJPG